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Einküchenhaus / „Heimhof“

„Meine Mama ist immer grantig, weil ihr niemand in der Küche hilft. Wir würden ja schon helfen, aber der Papa sagt, wir machen ohnehin nichts richtig und da ist es besser, wir bleiben draußen, wenn Mama kocht.“ (9 Jahre) (3)
„Die Küche würde ich im Keller machen – für alle Leute im Haus. Dann hat jeder mehr Platz in der Wohnung und man könnte vielleicht das Kinderzimmer größer machen. Dann gibt es einen Lift in jeder Wohnung, wo das Essen heraufkommt. Das habe ich einmal im Fernsehen gesehen. Man kann sich bestellen, was man gerne essen möchte, und es kommt ganz automatisch.“
(8 Jahre) (3)
„Wenn man keine Küche hätte, wäre alles viel einfacher. Man müsste nicht kochen und hätte mehr Zeit für die Kinder. Man müsste nicht einkaufen und hätte mehr Zeit zum Fernsehen. Man müsste nicht essen und hätte mehr Zeit für Bücher zum Lesen.“
(8 Jahre) (3)

Die Gedanken, die hier Kinder zum Thema Wohnen aufgeschrieben haben, klingen recht einleuchtend. Die Küche war traditionell immer der Bereich der Frau. Daran hat sich seit Jahrhunderten nicht viel geändert, es hat aber immer wieder Versuche gegeben, die Frauen aus der Verbindung „Küche = Frau“ zu befreien.

1889 wurde von drei Frauen in CHICAGO ein Stadtteilprojekt gegründet, das sich mit den Bedürfnissen berufstätiger Frauen – sowohl Arbeiterinnen als auch Frauen der (groß)bürgerlichen Schicht – beschäftigte. Die Bewohnerinnen von HULL-HOUSE waren unverheiratet und berufstätig, sie konnten ihr Essen bei der zentralen Küche in ihre Wohnung bestellen oder im Esssaal einnehmen.

Ein wenig später, um 1900, entwarf die amerikanische Architektin MARY COLEMAN STUCKERT ein Modell für ein Quartier in DENVER mit 44 Häusern und gemeinschaftlich organisierten Haushaltseinrichtungen. Sie war eine der ersten, die ein Untergrundnetz von elektrisch betriebenen Wagen entwarf. Mit diesen Wagen sollte gekochtes Essen, Wäsche und andere Lieferungen in die küchenlosen Häuser gebracht werden.

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In Europa wurden etwa um die gleiche Zeit, 1897, auf einem Arbeitsschutzkongress in Zürich von der Sozialdemokratin und Frauenrechtlerin LILY BRAUN die Möglichkeiten technisch längst machbarer Erleichterungen der Hausarbeit erwähnt. Ein paar Jahre später präzisierte sie ihre Vorschläge zur „Errichtung von Centralküchen, von Centralwaschanstalten, der Einführung der Centralheizung“ in einer Broschüre.

Die Idee des Einküchenhauses wurde von konservativen Parteien, die dadurch die Familien bedroht sahen, aber auch von Vertretern und Vertreterinnen der Sozialdemokratie und der Frauenrechtlerinnen teilweise stark bekämpft. Trotz dieser schlechten Voraussetzungen wurde in WIEN zwischen 1922 und 1926 das Einküchenhaus HEIMHOF errichtet. Es stand im 15. Bezirk, an der Ecke Johnstraße / Pilgerimgasse, bestand aus 264 Ein- oder Zweizimmerwohnungen und wurde von ca. 500 Mieter und Mieterinnen bewohnt. In den Bestimmungen für die Vergabe der Wohnungen stand, dass die Wohnungen „grundsätzlich ... nur an solche Familien mit und ohne Kinder vergeben [werden], in welchen beide Gatten im Berufe stehen.“ (5)

Obwohl die Wohnungen klein waren, erfüllte das Haus doch alle Träume von einem hauswirtschaftlich unbeschwerten Leben. Im Informationsblatt der Betreiberfirma des Einküchenhauses wird weiter ausgeführt: „Außerdem stehen den Bewohnern die gemeinsamen Räume, wie Speisesäle, Gesellschaftsräume, Bäder, Bibliothek, Kindertagesräume, Garten usw. zur Verfügung. Die Verköstigung erfolgt durch die Zentralküche in den Speiseräumen oder in den Wohnungen“. (5)
Pro Stockwerk versah ein Dienstmädchen das Aufräumen in den Wohnungen und im Haus, die Zentralwäscherei übernahm zum Selbstkostenpreis die Besorgung der Wäsche. Das Haus wurde gemeinschaftlich verwaltet, die dafür Zuständigen wurden jedes Jahr gewählt. Die Bewohner und Bewohnerinnen des Hauses waren, da über die Miete hinaus noch ein finanzieller Anteil an der Wohnungsgenossenschaft und den Baukosten bezahlt werden musste, meist bürgerlicher Herkunft. Eine Befragung unter ehemaligen BewohnerInnen des „Heimhofes“, die Mitte der 1980er Jahre durchgeführt wurde, ergab sehr positive Erinnerungen, vor allem auch an den Speisesaal als kommunikativen Raum, in dem die Frauen, die durch die Serviceeinrichtungen von der Hausarbeit entlastet waren, Zeit hatten, soziale Beziehungen zu pflegen. Die Zentralküche und der Speisesaal des „Heimhofes“ wurden 1934 von den Nationalsozialisten geschlossen.


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(2) (4) In: Pauline Boudry, Brigitta Kuster, Renate Lorenz (Hg): Reproduktionskonten fälschen! Berlin 1999
(3) In: Elisabeth Wetsch: Bewusst wohnen, Wien 1992
(5) In: Günther Uhlig: Kollektivmodell „Einküchenhaus“. Werkbund Archiv Nr. 6, Giessen 1981


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