"Über neue Herangehensweisen, fruchtlosen Widerstand und die Unmöglichkeit, in Zukunft nach Sydney zu fliegen."
Vortrag im Rahmen der Vortragsreihe "Dem Wesentlichen auf der Spur" an der TU Wien / HB 2, gehalten am 3. 12. 2018
... Heute denken wir, dass wir alle großen Veränderungen unsres Weltbildes bereits hinter uns haben. Dass die grundsätzlichen Erkenntnisse über unsere Welt gewonnen sind und nur noch vertieft werden müssen.
Was aber, wenn wir uns in dieser Hinsicht irren? Wenn unser Weltbild nicht ein für allemal die Welt erklären kann, sondern nun eine Veränderung ansteht? Wenn wir jetzt ein neues Weltbild brauchen, um die aktuellen, schwerwiegenden Probleme – wie z. B. den Klimawandel – lösen zu können?
„Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind“, sagte Albert Einstein. Muss ich jetzt also den Kopf aus meiner „Blase" stecken, wie mein Vorfahre den seinen auf dem Holzschnitt aus dem 16. Jahrhundert, um etwas Neues zu erkennen.
Bei den Vorbereitungen zu diesem Vortrag bin ich auf die SYSTEMTHEORIE gestoßen, bei der es um die Erforschung komplexer Systeme geht. Ein KOMPLEXES SYSTEM ist eigentlich alles, was lebt: von einer biologischen Zelle bis zur Familie, Staaten, Wirtschaftssysteme und Computernetzwerke; aber auch Verhalten, Denken, Klavier- oder Sportübungen können systemtheoretisch oder systemdynamisch betrachtet werden.
Die Systemtheorie untersucht die inneren Strukturen komplexer Systemen, ihre Schleifen und Verhaltensweisen, ihre Rückkoppelungen, Interaktionen und dergleichen und das ist insofern spannend, da komplexe Systeme nie statisch sind. Systemtheoretiker beschäftigen sich aber auch damit, wie komplexe Systeme VERÄNDERT bzw. VERBESSERT werden können. Dafür wurden sogenannte „HEBELPUNKTE" identifiziert. Das sind Punkte innerhalb von Systemstrukturen, an denen relativ leicht und effizient, durch minimale Änderungen, beträchtliche Verbesserungen des Systems erzielt werden können.
Eine der führenden und langjährigen Wissenschaftlerinnen in diesem Bereich war DONELLA MEADOWS, die ein Buch über die Grenzen unseres Denkens geschrieben hat und wie wir sie mithilfe systemtheoretischer Ansätze erkennen und überwinden können. In diesem Buch erstellt sie eine Liste von 12 Hebelpunkten, mit denen in ein System eingegriffen werden kann:
12. Zahlen – Konstanten und Parameter und ihr Einfluss
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8. Ausgleichende Rückkoppelungsschleifen
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5. Regeln – Anreize, Strafen, Beschränkungen
4. Selbstorganisation – die Fähigkeit, Systemstrukturen zu erweitern, zu verändern oder weiterzuentwickeln
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2. Paradigmen verändern – seine Ziele, Struktur, Regeln, Parameter
1. Paradigmen überwinden
Sie listet diese Hebelpunkte ansteigend nach ihrer Wirksamkeit auf, Punkt 12 ist also in ihrer Liste am wenigsten effizient, Punkt 1 am effizientesten. Ich gehe nur auf einige Punkte ihrer Liste näher ein:
Punkt 12 auf ihrer Liste ist die Strategie, mit Zahlen in ein komplexes System einzugreifen, z. B. mit Ober- und Untergrenzen: Obergrenzen bei Werten der Luftqualität – was gerade noch zulässig ist; oder auch der Mindestabstand bei Wohnbauten. Ein anderes Beispiel wäre der gesetzliche festgesetzte Mindestlohn. Es gibt vieler solcher Ober- und Untergrenzen. Die Wirksamkeit solcher Regulierungen zur Verbesserung eines komplexen Systems ist laut ihrer 12-Punkte-Liste allerdings gering.
Wirksamer sind da schon die „Ausgleichenden Rückkoppelungsschleifen" unter Punkt 8: „Eine Thermostatschaltung ist das klassische Beispiel für eine ausgleichende Rückkoppelungsschleife. Ihr Zweck besteht darin, die Raumtemperatur einiger Maßen konstant in der Nähe einer Wunschmarke zu halten." Auch in der Natur gibt es viele derartige ausgleichender Rückkoppelungsschleifen.
Punkt 5. Regeln – Anreize, Strafen, Beschränkungen
Punkt 4. Selbstorganisation – Die Fähigkeit, Systemstrukturen zu erweitern, zu verändern oder weiterzuentwickeln. „Die erstaunlichste Leistung von lebenden Systemen und Sozialsystemen ist ihr Vermögen, sich durch Schaffung ganz neuer Strukturen und Verhaltensweisen selbst komplett zu ändern. In biologischen Systemen nennt man dieses Vermögen Evolution. In menschlichen Wirtschaftssystemen wird es als technischer Fortschritt oder soziale Revolution bezeichnet. Im Systemjargon wird es Selbstorganisation genannt."
Bei den beiden effizientesten Hebelpunkten – Punkt 2 und Punkt 1 – spricht sie jeweils von PARADIGMEN. Paradigmen sind grundsätzliche Denkweisen, Lebenseinstellungen und Überzeugungen, die z. B. innerhalb einer Gesellschaft entstanden sind. Paradigmen werden nicht ausgesprochen oder ausdiskutiert, weil sie schon da sind und als selbstverständlich gelten. Paradigmen sind feste Überzeugungen, wie die Welt funktioniert. Das Weltbild, das die Erde in den Mittelpunkt des Kosmos stellte, war ein solches Paradigma und wurde von der heliozentrischen Weltsicht abgelöst.
Die Punkte 12 bis 3 auf Donella Meadows Liste behandeln also Strategien, mit denen innerhalb eines komplexen Systems eine Verhaltensänderung bzw. Verbesserung herbeigeführt werden kann.
Bei Punkt 1 und 2, bei den beiden effizientesten Strategien, verlässt sie jedoch das System und versucht, Veränderungen auf einer anderen Ebene vorzunehmen.
Punkt 2. Der zweiteffizienteste Hebelpunkt ist derjenige an dem die gemeinsamen sozialen Übereinkünfte über das Wesen der Realität – die vorherrschenden Paradigmen – geändert werden.
„Und wie geht das?" fragt sie und zitiert dann einen Kollegen, der sich mit wissenschaftlichen Paradigmenwechseln beschäftigt hat: „Indem man fortwährend die Aufmerksamkeit auf die Anomalität und auf das Versagen des alten Paradigmas lenkt. Indem man nicht aufhört, laut und unbeirrbar auf der Grundlage des neuen Paradigmas zu sprechen und zu handeln. Man stellt Menschen, die dem neuen Paradigma folgen, an öffentlichkeitswirksame und einflussreiche Stellen. Man verschwendet keine Zeit mit Reaktionären. Man arbeitet zusammen mit den aktiven Betreibern des Wandels und mit der breiten Masse von aufgeschlossenen Menschen, die in der Mitte der Gesellschaft stehen."
Bei einer einzelnen Person kann es relativ leicht zu einem Paradigmenwechsel kommen, schreibt sie weiter. Wenn einem z. B. plötzlich eine neue Erkenntnis kommt, einem etwas „wie Schuppen von den Augen fällt." Bei ganzen Gesellschaften ist das weit schwieriger, da ist das Trägheitselement weit größer. Ganze Gesellschaften sträuben sich vehement gegen Veränderungen.
Dabei glaube ich allerdings nicht, dass sich alle Menschen einer Gesellschaft gegen eine Veränderung sträuben, sondern vor allem diejenigen, die an der Macht sitzen. Sie sind in dieser Position von Natur aus träge und unflexibel und quasi naturgegeben grundsätzlich gegen jede Veränderung, die sie nicht selber herbeigeführt haben. Von dieser Seite ist also kein Paradigmenwechsel zu erwarten, da müssen wir uns schon selber darum kümmern.
Sie haben es vielleicht schon erlebt, dass etwas ganz undenkbar war, und später wird es als normal erachtet. Oder auch umgekehrt: Etwas, das als ganz normal angesehen wurde, ist plötzlich nicht mehr normal und vielleicht sogar im Gegenteil: verpönt. In einer Radiodiskussion zum aktuellen Klimagipfel in Polen habe ich von einer Umweltökonomin die Aussage gehört, dass es in Schweden inzwischen als nicht mehr zeitgemäß, als „unschick" gilt, zu fliegen. Das wäre ein Beispiel für so eine Veränderung.
Punkt 1. Als effizientesten Hebelpunkt auf ihrer 12-Punke-Liste nennt Donella Meadows die Strategie, Paradigmen GÄNZLICH zu überwinden. Die Sicherheit, die Paradigmen vermitteln, hinter sich zu lassen und sich ins „Nichtwissen" – so nennt sie es – fallen zu lassen. Das klingt ziemlich spirituell und kaum erreichbar. Wenn ich aber an den bisher von den Menschen angesammelten Erfahrungs- und Wissensschatz denke, scheint es mir nicht so unerreichbar. Vor allem, da unser Wissen sich ja nicht nur in eine Richtung hin entwickelt, sondern gleichzeitig in vielen Bereichen und auf vielen Ebenen stattfinde und sich auch teilweise widerspricht.
Ich bin optimistisch, dass es uns relativ einfach möglich sein kann, feste Überzeugungen hinter uns zu lassen. Vor allem, wenn wir festgestellt haben, dass sie uns nur mehr behindern.
Auch eingedenk meiner Erfahrung mit der Ausstellung in der Kunsthalle Basel, über die ich anfangs gesprochen haben: Dass es z. B. schon alleine nur befreiend sein kann, keine klare Trennung mehr zwischen Wissen und Nicht-Wissen, zwischen Können und Nicht-Können zu ziehen.
Von den Hebelpunkten, mit denen ein System relativ einfach verändert werden kann, komme ich jetzt zum „Fruchtlosen Widerstand". Zuvor aber nochmals ein Zitat vor Donella Meadows, in dem sie über JAY FORRESTER, einen Pionier der Systemwissenschaft, spricht: „Wer eine Ausbildung bei dem großen Jay Forrester am MIT durchlaufen hat“, so schreibt sie, „kennt diese Lieblingsgeschichte von ihm: Menschen wissen intuitiv, wo die Hebelpunkte liegen, erzählte er oft, und immer wieder habe ich Analysen von Firmen durchgeführt und einen Hebelpunkt entdeckt. Dann habe ich die Firma aufgesucht und festgestellt, dass alle den Hebel in die falsche Richtung drückten!"
Der Gedanken, dass die Menschen zwar intuitiv erkennen, wo die Hebelpunkte eines komplexen Systems liegen, aber dann mit aller Kraft in die falsche Richtung drücken, ist der eine Aspekt, mit dem ich das Thema „Fruchtloser Widerstand" einleiten möchte. Der zweite Aspekt ist der Satz von Albert Einstein, den ich schon vorher zitiert habe: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind“.
Wir kennen das alle vom Alltag: Ich drehe mich ewig im Kreis um ein Problem und komme doch nicht voran. Erst wenn ich einen Schritt zur Seite mache und das Ganze von außerhalb betrachte, kann ich die Muster – auch meine eigenen Verhaltensmuster – erkennen und ändern.
So eine Dynamik, die mich in einer Kreisbewegung um ein Gegenüber festhält, dem ich eigentlich Widerstand leisten möchte, nenne ich „Fruchtlosen Widerstand".
Es kann keine effiziente Strategie sein, vor allem GEGEN ETWAS oder auch GEGEN JEMANDEN aufzutreten, wenn ich ein Problem lösen will. Und das aus mehreren Gründen:
Zunächst, weil ich dabei meine Aufmerksamkeit auf ein Gegenüber fokussiere, meine Aufmerksamkeit also an das binde, dem ich mich eigentlich widersetze will. Gleichzeitig mit meiner Aufmerksamkeit binde ich aber auch meine Energie. So dass ich im Endeffekt mit MEINER Energie das Systems stütze, gegen das ich auftrete.
Zusätzlich ist diese Strategie „fruchtlos", weil ich durch meine Fixierung auf ein Gegenüber auch selber in der Denkweise stecken bleibe, die ich bekämpfen möchte. Ich bleibe auf derselben Ebene und kann nicht weiter. Ich drücke den Hebel mit aller Kraft in die falsche Richtung.
Das merkt man heute sehr deutlich in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung, in der zwei Haltungen mit aller Macht und immer verbissener umeinander kreisen. Der deutsche Medienwissenschaftler BERNHARD PÖRKSEN schreibt in einem Zeitungsartikel, in dem er sich mit gedanklichen und sprachlichen Pauschalisierungen beschäftigt, von „fiesen Kollektiv-Begriffen": „Gutmensch … Hypermoralist … Rechtspopulist … Nazi … Was passiert, wenn man ein solches Wort angeklebt bekommt, tief drinnen im Gehölz der eigenen Seele? Sagt man: Stimmt, ich muss noch mal nachdenken! Danke, dass ihr mir den Spiegel vorhaltet.? – Natürlich nicht.“ ...